Nachhaltigkeit messbar machen – Praxisfragen zur Instandhaltung im Eisenbahnsektor
Die Bahnbranche steht für Nachhaltigkeit - und das auf mehreren Ebenen. Auch in der Instandhaltung gewinnt das Thema Nachhaltigkeit mehr und mehr an Bedeutung. Deshalb haben wir unseren Bahn-Experten Marcus Fromm (Partner & Managing Director) im Interview gefragt: Was sind eigentlich fundierte, praxisorientierte und umsetzbare Ansätze für nachhaltige Instandhaltung im Bahnsektor?
Warum gewinnt das Thema Nachhaltigkeit in der Instandhaltung von Eisenbahnunternehmen gerade jetzt so stark an Bedeutung?
Druck kommt von mehreren Seiten: Die EU-CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) verpflichtet grosse Unternehmen zur Offenlegung ihrer ESG-Leistungen – auch im technischen Bereich. Zugleich steigen die Energie- und Rohstoffkosten. Wer etwa mit überalterten Anlagen oder ineffizienten Wartungsstrategien arbeitet, verschwendet nicht nur Ressourcen, sondern verliert auch wirtschaftlich an Boden. Hinzu kommt, dass der öffentliche Sektor – wie bei SBB, DB oder ÖBB – als Vorbild bei Nachhaltigkeit wahrgenommen werden soll.
Welche Rolle spielt die Instandhaltung konkret bei der Erreichung von ESG-Zielen?
Eine enorme Rolle. Instandhaltung beeinflusst direkt den Energieverbrauch, die Lebensdauer von Assets, die Abfallmengen und auch die Sicherheit der Mitarbeitenden. Durch proaktive Wartung lassen sich Ausfälle vermeiden, Materialien wiederverwenden und Emissionen reduzieren. ESG beginnt also nicht im Bericht, sondern in der Werkstatt.
Wie lässt sich Nachhaltigkeit in der Instandhaltung überhaupt messen?
Durch ein erweitertes Kennzahlensystem, das ökologische, soziale und ökonomische Aspekte abdeckt. Dazu gehören etwa CO₂-Emissionen pro Wartungsauftrag, Recyclingquoten bei Ersatzteilen oder die OEE (Overall Equipment Effectiveness) kombiniert mit Energiekennzahlen. Ohne solche KPIs bleibt Nachhaltigkeit vage und nicht steuerbar.
Welche Nachhaltigkeitskennzahlen sind im Bahnumfeld besonders praxisrelevant?
Energieverbrauch (z. B. Strom in Werkstätten, Diesel in Servicefahrten), Lebenszyklusdaten (Nutzungsdauer von Achsen, Bremsen, Oberleitungskomponenten), Recyclingfähigkeit von Altteilen und Materialverbrauch in der Werkstatt sind typische Beispiele. Sozial relevante Kennzahlen wären etwa Unfallhäufigkeit, Schulungsstand oder die Fluktuationsrate im technischen Personal.
Welche Beispiele zeigen, dass nachhaltige Instandhaltung bereits heute funktioniert?
Die SBB setzt mit einer durchgängig digitalisierten Instandhaltung Maßstäbe in Verfügbarkeit und Lebenszyklusoptimierung. Die ÖBB begegnet dem Fachkräftemangel mit digitalen Ressourcenplanungstools – ein Beispiel für soziale Nachhaltigkeit. Und kleinere Anbieter wie NRS (Nordic Rail Service) zeigen, dass schon der Umstieg von Excel auf SAP EAM zu messbaren Fortschritten in Transparenz und Ressourceneffizienz führen kann.
Warum ist Kreislaufwirtschaft ein so wichtiger Aspekt im Bahnsektor?
Weil Bahnsysteme auf langlebige, schwer recycelbare Komponenten setzen. Wenn man diese nicht nur entsorgt, sondern repariert oder gezielt wiederverwendet, verlängert sich der Nutzungszyklus erheblich. Die Instandhaltung entscheidet also mit darüber, ob ein Getriebe 15 oder 25 Jahre im Umlauf ist – und ob ein Ersatzteil auf dem Schrottplatz oder im Ersatzteillager landet.

Marcus Fromm
Partner & Managing Director
Mit über 20 Jahren Erfahrung in Strategieberatung und digitaler Transformation gilt Marcus Fromm als ausgewiesener Experte in der Mobilitätsbranche. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung innovativer technologischer Lösungen, der Prozessoptimierung sowie dem gezielten Einsatz von KI. Marcus verbindet technisches Know-how mit strategischem Denken und hat zahlreiche Unternehmen dabei unterstützt, ihre Marktposition nachhaltig zu stärken.
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Was sind die grössten Hindernisse bei der Umsetzung nachhaltiger Instandhaltung?
Kulturelle Barrieren („das haben wir immer schon so gemacht“), mangelnde Datenverfügbarkeit und fehlende Standards. Viele Unternehmen wissen schlicht nicht, welche Daten sie brauchen oder wie sie diese erheben. Ohne IT-Systeme ist das kaum zu lösen. Hinzu kommt, dass der Nutzen nachhaltiger Maßnahmen oft erst mittel- bis langfristig sichtbar wird.
Welche Daten sind notwendig, um Nachhaltigkeit sinnvoll zu steuern?
Energie- und Materialverbrauch auf Auftragsebene, Zustand und Laufzeit von Komponenten, Schadstoffemissionen, Recycling- und Reparaturquoten sowie personalbezogene Daten wie Sicherheitsvorfälle oder Ausbildungsstände. Diese Daten müssen verlässlich, standardisiert und im besten Fall automatisiert erfassbar sein.
Warum reicht es nicht aus, nur CO₂-Werte zu berichten?
CO₂ ist wichtig – aber zu einseitig. Eine Massnahme kann CO₂ reduzieren, aber gleichzeitig hohe soziale Kosten verursachen (z. B. durch Personalabbau). Nur wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gemeinsam betrachtet werden, entsteht ein realistisches Bild. Ein gutes Beispiel ist die vorausschauende Wartung: Sie spart Ressourcen, reduziert Ausfälle und entlastet Mitarbeitende.
Wie unterstützt valantic Bahnunternehmen bei der Umsetzung von ESG-Zielen in der Instandhaltung?
valantic kombiniert SAP-Kompetenz mit Branchen-Know-how. Wir helfen unseren Kunden, relevante Nachhaltigkeitsziele zu identifizieren, passende KPIs zu definieren und diese zum Beispiel in Systemen wie SAP S/4HANA und SAP EAM zu integrieren. Unsere Berater bringen sowohl technisches Verständnis für Instandhaltung als auch tiefes Wissen zu ESG-Vorgaben mit – das ist besonders für Bahnunternehmen entscheidend.
Was unterscheidet valantic von anderen Anbietern im ESG-Kontext?
Wir denken Nachhaltigkeit nicht nur strategisch, sondern implementieren sie operativ. Unser Fokus liegt auf messbarer Wirkung – also auf Systemintegration, Datenverfügbarkeit und automatisierten Berichten. Zudem bringen wir Erfahrung aus erfolgreichen Projekten bei DB, ÖBB, SBB oder im Rahmen von Transformationen bei anderen europäischen Bahnen mit.
Welche SAP-Funktionalitäten sind besonders relevant für nachhaltige Instandhaltung?
Neben klassischem SAP EAM nutzen wir u. a. SAP Asset Performance Management, SAP Sustainability Control Tower oder S/4HANA Analytics. Damit lassen sich Energieverbräuche, Materialflüsse und CO₂-Daten direkt mit den Wartungsprozessen verknüpfen. Das schafft Transparenz und ermöglicht ein KPI-gestütztes Steuerungssystem.
Was raten Sie Bahnunternehmen, die noch am Anfang stehen?
Fangen Sie klein, aber konkret an: z.B. mit drei gut definierbaren Nachhaltigkeitskennzahlen im Bereich Energie, Material und Mitarbeiterschutz. Prüfen Sie, ob Ihre Daten vorhanden sind – und wenn nicht, starten Sie mit der IT-Integration. Wichtig ist, Verantwortlichkeiten zu definieren und regelmässig über die KPIs zu berichten. Und: Nutzen Sie Praxisbeispiele – von Deutsche Bahn bis Nordic Rail Service gibt es viele Lessons Learned.
Wie sieht die Zukunft nachhaltiger Instandhaltung im Bahnumfeld aus?
Die Instandhaltung wird vom Reaktionsraum zur Steuerungszentrale. Sie wird Daten liefern, um Nachhaltigkeitsberichte zu füllen, Investitionsentscheidungen zu lenken und Ausschreibungen zu gewinnen. Der nächste Schritt wird die Integration von KI, IoT und Nachhaltigkeitszielen sein – mit Systemen, die nicht nur reagieren, sondern Empfehlungen geben: ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvoll.
Was war der Auslöser für die Erstellung des Whitepapers "Nachhaltigkeitskennzahlen in der Eisenbahn-Instandhaltung"?
Ausgangspunkt war die Masterarbeit eines Studierenden, die wir von Orianda Solutions AG betreut haben. Sie hat in beeindruckender Weise gezeigt, wie stark Nachhaltigkeit in der Instandhaltung unterschätzt wird – und wie gross das Potenzial ist, wenn man gezielt nachhaltige Kennzahlen einführt. Besonders die Ergebnisse der Kundenbefragung haben mich bewegt: Viele Unternehmen sehen Nachhaltigkeit als wichtig an, aber fühlen sich überfordert, passende KPIs zu definieren oder wissen nicht, wo sie anfangen sollen.
Gleichzeitig haben wir in zahlreichen Gesprächen mit Kunden – von grossen Bahnbetreibern wie DB, ÖBB oder SBB bis hin zu kleineren Instandhaltungsdienstleistern – immer wieder die gleiche Rückmeldung erhalten: Es fehlt nicht am Willen, sondern an praxistauglichen Ansätzen. Auch in Verbänden oder bei Events, etwa bei SAP Rail Asset Management Annual Meeting oder in europäischen Arbeitsgruppen zu Bahn-ESG-Standards, hören wir regelmässig, dass es an konkreten Methoden fehlt, um Nachhaltigkeit im operativen Asset Management zu verankern.